Vortrag zur Saint Cécile der Aladfi 2012 in Samoën „in Vergessenheit geratene Arbeitstechniken“

„Einige spezielle handwerklich ausgeführte Arbeitstechniken waren im 19. und im beginnenden 20 Jahrhundert bei den als Heimarbeiter arbeitenden Geigenbauern in Grasslitz und Schönbach weit verbreitet.
  • Dazu gehörten das
    „frei Aufschachteln“: Die Zargen werden ohne eine Form zu verwenden zu einem Zargenkranz zusammengefügt.
  • „das Wölbungsziehen“: Die Wölbung (Decke oder Boden eines Streichinstrumentes) wird mit verschiedenen Zugeisen auf der Schnitzbank vorgearbeitet.

„das Ausarbeiten des Bassbalkens aus dem Vollen“: Der Bassbalken wird beim Ausarbeiten der Decke stehen gelassen; Bassbalken und Decke sind aus einem Stück ohne Leimfuge zwischen Bassbalken und Decke.

Diese Heimarbeiter bezogen im Allgemeinen ihre Ausgangsmaterial (Zargen, Tonholz) von den  Verlagshäusern (Handelshäuser) und lieferten die fertiggestellten Instrumentenkorpusse wieder an diese.  Ein Großteil der Verlagshäuser war im  8km entfernten, auf der anderen Seite der bömisch – sächsischen Grenze gelegenen Marktneukirchen ansässig. Jedes Familienmitglied der Heimarbeiterfamilien hatte eine spezifische Aufgabe im Herstellungsprozess, daher ergab sich ein sehr rationalisiertes Arbeiten,- aber auch eine gewisse Monotonie. Die wirtschaftliche Situation der Heimarbeiterfamilien war von jeher schwierig. Dies erklärt, daß die Arbeiten bis zum ersten Weltkrieg in Handarbeit ausgeführt wurden und nicht in kostspielige Maschinen investiert werden konnte. Die Heimarbeiter waren  Selbständige  die nicht durch feste Verträge an ein bestimmtes Verlagshaus gebunden waren . Sie mussten ihre  Arbeitsergebnisse in Konkurrenz zu den anderen Heimarbeitern den Verlagshäusern anbieten.

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Bild 2: Zugeisen


1904 wurde von Ingenieur William Thau aus Klingenthal ein Patent angemeldet für eine Maschine zum vollautomatisierten Fräsen von Streichinstrumentendecken und Böden. Die 1906 in Marktneukirchen gegründete Aktiengesellschaft für Geigenindustrie stand mit der Ausnutzung dieses Patentes in direkter Konkurrenz zu den auf der anderen Seite der Grenze arbeitenden Heimarbeitern. (Quelle: Weller, Enrico: Industrieller Geigenbau in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts – die Aktiengesellschaft für Geigenindustrie in Marktneukirchen, Instrumentenbau – Zeitschrift 53.7/8 (1999) S. 22-25.) Dies führte dazu, dass die Heimarbeiter ihre mit der Technik des „Wölbungsziehens“ hergestellten Streichinstrumentendecken und Böden noch preiswerter anbieten mussten. So konnte die Aktiengesellschaft bis zum ersten Weltkrieg kaum wirtschaftlich arbeiten.

Zum „Wölbungsziehen“ spannte man die gefugte Deckenplatte (Fichte) oder Bodenplatte  (Ahorn, Pappel, selten auch andere Hölzer)  in die Schnitzbank. Durch Treten eines Fußpedals konnte das Werkstück fixiert werden. Dadurch daß  man auf der Schnitzbank saß und das Fußpedal trat, konnte man die Kraft des ganzen Körpers optimal in eine Zugbewegung umsetzen. Die Vorteile der Schnitzbank: Der Handwerker hatte beide Hände frei für die Werkzeugführung und der Handwerker konnte durch Lösen und Andrücken des Fußpuders das Werkstück  schnell wenden und drehen. (Bild1)
Der Heimarbeiter verwendete im Allgemeinen 3 Zugeisen: ein gerades und zwei mit gerundeter Schneide ( Bild 2  Zugeisen - Siehe Anhang / Vortrag „in Vergessenheit geratene Arbeitstechniken“ /). Die Herstellung der Wölbung einer Geigendecke oder eines Geigenbodens verlief in 5 Arbeitsschritten (Bild 3):

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Bild 3: Arbeitsschritte

 

  1. Mit dem geraden Zugeisen wurde die Höhe der Wölbung abgeschält und der Unter – und Oberbug vorgezogen.
  2. Mit den zwei rundangeschliffenen Zugeisen wurden die C- Bügel (Mittelberreich der Geige) gezogen und der Randbereich soweit fertig gezogen, dass er noch auf einer Stärke von 5-7 mm blieb.
    Für diese zwei Arbeitsschritte, die die Anlage der Wölbung beinhaltet, benötigte ein Heimarbeiter 2-3 Minuten.
  3. Der Umriss der Geigendecke – des Geigenbodens wird fertig umschnitten und die Randholhkehle mit einem Hohleisen gestochen.
  4. Mit kleinen Wölbungshobeln wird der Übergang von der Hohlkehle zur Wölbung gehobelt und Unregelmäßigkeiten in der Wölbung ausgeglichen.

„Putzen“ der Wölbung: Das zu dieser Feinarbeit verwendete Werkzeug war im Wesentlichen von der Qualität des erwarteten Arbeitsergebnisses abhängig (Ziehklingen, Schleifteller).

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Bild links/ Bild 4: Geige aus dem Grasslitz und Schönebach

Bild rechts/Bild 5: Bassbalken aus dem Vollen

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Bild 6: Bassbalken Detail

 

Am Ende meines Vortrages will ich kurz auf die Technik des Bassbalkens „aus dem Vollen“ eingehen. Nach Zeitzeugen wurde diese Technik nur für Instrumente aus dem untersten Qualitätssegment verwendet. Ich hatte vor kurzem eine gut klingende und sauber gearbeitete Geige zur Reparatur, die einen Bassbalken „aus dem Vollen“ aufwies. Man sieht deutlich die Stichspuren vom Ausarbeiten der Decke. (Bilder 4-6)

Bemerkenswert ist, dass der Bassbalken genau dem Faserverlauf des Holzes folgt und daher parallel zur Mittelfuge verläuft. Das offene Instrument zeigt die saubere Arbeit eines ohne Form zusammengebauten Zargenkranzes. (Bild 7-8)
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Bild links/Bild 7: frei aufschachtelter Zargenkranz

Bild rechts/Bild 8: Detail des Zargenkranzes

 

Mir geht es in meinem Vortrag nicht darum, diese Arbeitstechniken zu bewerten. Ich finde es aber wichtig, diese nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Sie sind ein Teil der Geschichte des Geigenbaus und erzählen uns von der Lebens- und Arbeitssituation der böhmischen Heimarbeiter. Und vielleicht kann der eine oder andere Aspekt dieser Techniken die heutigen Geigenbauer zu neuen Ansätzen inspirieren.

Vielen Dank für Ihr Interesse“
Mein Dank an Bruno Wilfer (Erlangen), Dr. Christian Hoyer (Bubenreuth), Klaus Clement (Leipzig), Stephan Teichmann( München)